Hier gibt es ein sehr offenes Interview von Anna Kemper zu lesen. Eine Journalistin, die sich sehr gut vorbereitet hat👍
Foto: Bastian Thiery
Howard Carpendale: "Treibt Sie die Angst um, nicht ernst genommen zu werden?" "Ja, die Angst haben wir aber alle, oder?"
Hamburg Ende Oktober, Howard Carpendale sitzt im schwarzen Kapuzenpulli im Büro seines Managers und ist gut gelaunt. Einen Tag vorher hat sein Heimatland Südafrika die Rugby-WM gewonnen, Carpendale hat das Endspiel live im Fernsehen mitkommentiert. "Ich habe nie verstanden, warum in Deutschland fast nur Fußball geschaut wird", sagt er: "Fußball ist wie ein Schlager, Rugby wie ein komplexes Album." Sport hat Carpendale immer fasziniert, und vielleicht ist das Thema ein guter Einstieg für ein Gespräch darüber, wie er wurde, was er ist: einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands.
ZEITmagazin: Herr Carpendale, als Jugendlicher waren Sie in Südafrika ein sehr erfolgreicher Sportler, Sie haben Kricket und Rugby gespielt, waren Jugendlandesmeister im Kugelstoßen. Können Sie sich gut quälen für ein Ziel?
Howard Carpendale: Mein Rugbytrainer war damals erst zufrieden, wenn wir uns übergaben. Und in den vergangenen vier Wochen war ich auf Tour mit einem gebrochenen Fuß. Ich hätte abbrechen können, aber ich habe Wege gefunden, mich auf der Bühne so zu bewegen, dass nur die engsten Fans gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt. Also: Ja, ich kann mich quälen.
Howard Carpendale
77, ging 1966 aus seiner Heimat Südafrika nach England, um Profisportler zu werden. Nebenbei sang er in einer Beat-Band. Eher zufällig landete er in Deutschland, 1970 gewann er den Deutschen Schlagerwettbewerb, es folgten Hits wie Ti amo oder Hello Again. Carpendale hat zwei erwachsene Söhne: Wayne aus seiner ersten Ehe mit Ex-Frau Claudia und Cass mit seiner Frau Donnice, mit der er in der Nähe von München lebt. Gerade erschien sein Album Let’s do it again, 2024 geht er wieder auf Tournee.
ZEITmagazin: Wie wichtig war Sport für Ihr Leben?
Carpendale: Mir ist über die Jahre immer mehr klar geworden, wie sehr die Kindheit ein Leben beeinflusst. Ich war zehn Pfund schwer, als ich geboren wurde. Heute kämpfe ich damit, diese zehn Pfund wieder loszuwerden! Ich war als Kind pummelig, bis zu meinem zehnten Lebensjahr war ich eigentlich eine Enttäuschung für meinen Vater, ich hatte überhaupt kein Ballgefühl, und da er ein erfolgreicher Sportler gewesen war und ich sein einziger Sohn ... Ich habe gespürt, dass ich seine Hoffnungen nicht erfüllte. Mit zehn bin ich in kürzester Zeit gewachsen, auf 1,82 Meter, und war zwischen 12 und 17 einer der besten Jugendsportler in Südafrika, bis die anderen mich größenmäßig eingeholt hatten. Mein Vater war in Durban Politiker, ich war also der Sohn von Carpendale. Und ich sagte zu meinem Vater: Ich will, dass es einmal umgekehrt ist, dass also er der Vater von Howard Carpendale ist. Als es so kam, hat es ihm gut gefallen.
ZEITmagazin: Haben Sie seitdem immer das Gefühl gehabt, etwas leisten zu müssen, um respektiert und gemocht zu werden?
Carpendale: Ich wollte ihm imponieren, das zieht sich ein bisschen so durch mein Leben durch. Ich will von den Leuten, die mir wichtig sind, hören, dass ich es gut gemacht habe.
ZEITmagazin: Ist das ein wichtiger Antrieb für Sie?
Carpendale: Ein sehr guter sogar. Aber ich suche nicht nur Lob, ich kann auch gut mit Kritik umgehen.
ZEITmagazin: Eine Karriere als Musiker war eigentlich nicht Ihre erste Wahl: Als junger Mann gaben Sie Ihr Studium in Südafrika auf und gingen nach England, um Profisportler zu werden. Sind Sie von der Mentalität her bis heute eher ein Sportler als ein Künstler?
Carpendale: Vollkommen. Ich bin eigentlich ein Sportler, der sein Geld mit Musik verdient. Ich liebe Herausforderungen. Und ich beneide Sportler, denn im Sport ist das Einzige, was zählt, ob ich die 100 Meter in 10,0 Sekunden oder in 10,1 Sekunden laufe. In der Musikbranche ist das ganz anders. Da gibt es welche, die brauchen 15 Sekunden und werden trotzdem Nummer eins.
ZEITmagazin: Dafür ist als Sportler die Karriere mit Mitte 30 meistens ...
Carpendale: Ab 35 ist man altes Eisen. Ich habe viel darüber nachgedacht, was das für ein Gefühl sein muss. Ich kenne auch jemanden, der als Pilot beim Militär Düsenjets geflogen ist und mit Mitte 30 aufhören musste. Das ist hart. Das sind Adrenalinjunkies. Ich brauche das Adrenalin auch, aber ich kann es mir noch holen.
ZEITmagazin: Ein Junkie scheinen Sie aber nicht zu sein. Sie haben mal gesagt: "Ich habe kein Problem damit, direkt nach einem Konzert ins Hotel zu gehen und Nachrichten zu schauen, der Auftritt ist für mich fünf Minuten nach dem Konzert abgeschlossen."
"Bis zu meinem zehnten Lebensjahr war ich eigentlich eine Enttäuschung für meinen Vater. Ich spürte, dass ich seine Hoffnungen nicht erfüllte ©
privat
Carpendale: Ich bin auch vor einem Konzert nicht nervös. Ich weiß, was ich zu tun habe. Mein früherer Manager hat mir immer gesagt: Auf der Bühne musst du der Chef im Ring sein.
ZEITmagazin: Wie ist man denn Chef im Ring?
Carpendale: Ich bin früher oft nach Vegas gefahren, dort habe ich Dean Martin erlebt. Er war die coolste Socke, die es je gab. Seine Show war unglaublich. Er stand auf der Bühne mit seiner Zigarette und sang fünf, sechs Lieder ...
ZEITmagazin: Wann war das?
Carpendale:
Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Ich war mit meinem Manager da, Dieter Weidenfeld, der früher Schauspieler gewesen war. Kein sehr erfolgreicher, aber er hatte daher ein Gespür dafür, was psychologisch auf der Bühne passiert. Dean Martin sang, dann legte er sein Mikro auf den Barhocker und schlenderte 15, 20 Meter langsam über die Bühne zum Klavier. Auf dem Klavier stand ein Glas. Das nahm er, schaute ins Publikum, nahm einen Schluck, stellte es wieder hin und ging zurück. Es war mucksmäuschenstill. Er nimmt sein Mikro und sagt: "Boah, das hat gut geschmeckt!" Und legt das Mikro hin und macht das Ganze noch mal! Das waren zweieinhalb Minuten, ich kriege jetzt noch Gänsehaut. Da ist mir klar geworden, was es heißt, Chef im Ring zu sein. Ich habe immerhin fünf Meter geschafft.
ZEITmagazin: Sie haben versucht, es nachzumachen?
Carpendale: Bei meiner letztenTournee "Die Show meines Lebens" habe ich das mal ausprobiert. Ich bin am Anfang der Show raus, setzte mich auf den Barhocker und habe abgewartet, bis der Applaus verebbte. Dann habe ich nicht "Guten Abend" oder so gesagt, sondern bin aufgestanden, habe mich umgedreht und bin ganz langsam fünf Meter Richtung Band gegangen, habe einen Schluck getrunken und kam zurück. Ich sage Ihnen, das hat so viele Eier gekostet ...!
ZEITmagazin: Das Gefühl hinter der Anekdote ist ja, dass man alles im Griff hat, all diese Menschen. Was ist das für ein Gefühl? Macht?
Carpendale: Es ist eine Komfortzone, wo man spürt: Mir kann gar nichts passieren.
ZEITmagazin: Aber Sie sagten, es braucht Eier, also Mut. Klingt nicht nach Komfortzone.
Carpendale: Ja, so wie Dean Martin es gemacht hat, das ist noch eine Stufe höher. Das habe ich mich noch nicht getraut. Aber dafür brauchst du auch eine bestimmte Halle, du brauchst die Plüschsessel von Vegas, bei einer Holzbestuhlung ist das schwer. Aber mich interessiert die Frage, ob man Macht spürt: sicherlich ein bisschen. Es ist vor allem ein gutes Gefühl, eine Mischung aus Macht, aber auch, das klingt kitschig, leider, Liebe. Als könnte man den ganzen Saal umarmen.
ZEITmagazin: Sie haben in Vegas auch Céline Dion gesehen und fanden ihre Show "kalt". Wie schafft man es, Wärme herzustellen in einer Arena mit 10.000 Leuten?
Carpendale: Ich glaube, dafür braucht es mehr als den Moment des Konzerts, das Gefühl liegt in der Story des Menschen, der auf der Bühne steht, und ob er glaubwürdig ist. Ich erzähle viel zwischen den Songs, ich möchte, dass die Menschen nach Hause gehen und sagen, den Typen habe ich kennengelernt heute Abend. Ob man Wärme empfindet bei einem jungen Künstler, der zum ersten Mal auf der Bühne steht? Glaube ich nicht. Aber das verlangt auch niemand, junge Künstler können dafür andere Sachen besser.
ZEITmagazin: Ich weiß, dass Sie sehr kritisch sind mit sich, Sie schauen sich zum Beispiel Ihre Talkshowauftritte an, um zu sehen, was Sie besser machen können ...
Carpendale: ich bereite mich auch vor! Mein schwierigster Auftritt war vor 30 Jahren bei der Talkshow Ich stelle mich, wo der Moderator Claus Hinrich Casdorff Prominente grillte, er war berüchtigt für seine harten Fragen. Ich habe mich vorher vier Tage lang in ein Hotelzimmer eingeschlossen und mir jede nur erdenkliche Frage gestellt. Es lief fantastisch, bis er mich fragte: "Herr Carpendale, fühlen Sie sich eigentlich zu dick?" Ich habe so gelacht – auf jede Frage war ich vorbereitet, aber auf diese?
ZEITmagazin: Ich habe mir jedenfalls eine Aufzeichnung Ihrer letzten Bühnenshow angeguckt, und mir sind ein paar Details aufgefallen, von denen ich gern wüsste, ob sie geplant sind oder spontan entstehen. Zum Beispiel wie Sie sich hinsetzen auf den Barhocker auf der Bühne: Ein Bein angewinkelt, der Körper bildet eine perfekte Diagonale.
Carpendale: Der Körper muss eine Linie sein, das ist wichtig. Es gibt Leute, die sagen, keiner kann auf einem Barhocker sitzen so wie du. Das ist eine amerikanische Sache, Barhocker, Frank Sinatra ...
ZEITmagazin: Dann halten Sie das Mikro oft so von unten nur mit den Fingerspitzen, als würde es nichts wiegen.
Carpendale: Das inszeniere ich erst bewusst, seit mich viele Leute darauf aufmerksam gemacht haben, dass ich das ab und zu mache. Vorher war es intuitiv, ich mag es nicht, das Mikro komplett mit der Handfläche zu umschließen, das sieht angespannt aus, das ist kein gutes Gefühl. Ich möchte die Lockerheit unterstreichen, die Coolness.
ZEITmagazin: Ist das der Eindruck, den Sie auf der Bühne erzeugen wollen?
Carpendale: Wenn ich das sagen darf, und es ist überhaupt nicht kritisch gemeint: Ich möchte auf der Bühne das Gegenteil von einem Udo Jürgens sein. Udo war ein Arbeiter, der hat geackert. Er war frankophil, auf der Bühne war er wie Gilbert Bécaud, der ja den Spitznamen "Monsieur 100.000 Volt" trug. Ich möchte eher dieses amerikanische Gefühl, ich will, dass die Leute relaxen: Ihr hattet eine harte Woche, heute habt ihr frei, lehnt euch zurück, ich mach das schon.
ZEITmagazin: Dann Ihr Outfit: aufgeknöpftes Hemd, die Krawatte mit gelockertem Knoten, das Hemd aus der Hose ...
Carpendale: Das gefällt mir eigentlich nicht, das mit dem Hemd. Das war, um die überflüssigen Kilos zu kaschieren. Danke übrigens, dass Sie sich meine Show angeschaut haben. Das ist sicher mein zweitausendstes Interview, und das kommt nur sehr selten vor.
ZEITmagazin: Ärgert Sie das? Auf die Frage, was Sie auf der Bühne suchen, haben Sie mal geantwortet: Respekt. Haben Sie das Gefühl, Sie bekommen davon zu wenig?
Carpendale: Da sind wir schon wieder beim Imponieren. Für mich ist Respekt das Wichtigste. Ich will Respekt haben für das, was ich tue. Ich konnte Hits haben, wie ich wollte ... Aber erst jetzt ändert sich das.
ZEITmagazin: Treibt Sie die Angst um, nicht ernst genommen zu werden?
Carpendale: Ja, die Angst haben wir aber alle, oder? Neulich hatte ich ein Vorgespräch für eine Talkshow. Da sagte mir die Redakteurin: Mensch, du hast ja ein politisches Lied auf deinem Album, das hat mich überrascht! Da bin ich ein bisschen sauer geworden. Ich habe einige politische Songs gehabt, Der Junge aus Soweto oder Willkommen auf der Titanic. Da führt jemand ein Vorgespräch mit mir und weiß gar nicht, was ich mache.
ZEITmagazin: Kränkt Sie das?
Carpendale: Vielleicht erklärt dieser Satz es: Ich habe viele Schlager gesungen, aber ich bin kein Schlagersänger. Das ist ganz wichtig für mich.
ZEITmagazin: Lassen Sie uns trotzdem über Schlager reden, ja? Wissen Sie, wie oft Sie in der "ZDF-Hitparade" aufgetreten sind?
Carpendale: 57-mal
ZEITmagazin: Ist Ihnen das so wichtig, dass Sie das so genau wissen?
Carpendale: Nein, aber es wird immer wieder erwähnt, Sie sprechen es ja auch an.
ZEITmagazin: Nicht viele waren häufiger da als Sie ...
Carpendale: Nur Roland Kaiser und Chris Roberts.
ZEITmagazin: Die Sendung kam live aus Berlin, alle wohnten im Hotel Schweizerhof in der Budapester Straße, Dieter Thomas Heck hat dort mehr als tausendmal übernachtet ... Wie war das damals?
Carpendale: Im Schweizerhof war unten eine Kneipe, da haben sich alle getroffen und getrunken. Damit hatte ich aber wenig zu tun. Mittwochs flog man hin, donnerstags war die Probe, wo der Regisseur Truck Branss uns alle fürchterlich kritisiert hat. Er war der Autokrat der Hitparade.
ZEITmagazin: So nach dem Motto: Seid froh, dass ihr hier singen dürft?
Carpendale: Oh ja. Ich hatte oft Streit mit ihm. Guck in die Kamera!, sagte er mir immer. Und ich: Nein, ich singe ein trauriges Lied, und ich werde meinen Kopf unten halten und nur ab und zu mal hochschauen! Das war einer meiner größten Gimmicks, denn so haben die Leute mit mir gelitten. Aber die Hitparade konnte sich das leisten, 25 Millionen haben zugeschaut. Wenn ich da aufgetreten bin, wurde ich in den folgenden Tagen überall drauf angesprochen.
ZEITmagazin: Roland Kaiser und Sie sind bis heute erfolgreich, viele andere sind, wie Sie mal gesagt haben, vereinsamt, verarmt, verzweifelt.
Carpendale: Viele mochten nicht, was sie getan haben. Roy Black und Rex Gildo haben es gehasst. Roy war so cool, lässig, ein Hammertyp, machte Witze ohne Ende. Aber er wollte eigentlich nur Rock ’n’ Roll singen.
ZEITmagazin: Sein Lieblingswitz soll gewesen sein: "Wie bekommt man das Hirn eines Schlagersängers auf Erbsengröße? Aufblasen!" Da steckt viel Tragik drin, wenn man weiß, dass er seine eigene Musik nicht mochte. War der Erfolg auch eine Falle, aus der einige nicht mehr rauskamen?
Carpendale: Diese Typen wussten, sie singen zum Teil banale Dinge, und das tat ihnen weh. Drei Jahre nach meinem Erfolg beim Deutschen Schlagerwettbewerb mit dem Schönen Mädchen von Seite 1 wurde mir Kurt Feltz zugeteilt als Produzent, er arbeitete auch mit Roy. Er hat mir so blöde Texte geschrieben, "Immerhin, weil ich ein Ringer bin und du ’ne Kennerin von jedem Griff ...", da habe ich mich gewehrt: Kurt, ich sing so einen Scheiß nicht! Ich habe dann den Millionenvertrag der Plattenfirma zerrissen, bin volles Risiko gegangen und habe angefangen, eigene Songs zu schreiben. Roy hat gesagt, was soll’s? Aber das ist das Schlimmste als Sänger, etwas zu tun, was man nicht mag, nur um Geld zu verdienen. Man hat dann kein Gefühl von Stolz.
ZEITmagazin: Wie war das mit den Groupies zu der Zeit?
Carpendale: Natürlich gab es viele Groupies, aber wenn mich jemand anhimmelt, habe ich kein Interesse mehr. Ich habe das nie ausgenutzt, nicht ein Mal.
ZEITmagazin: Wirklich? Einmal, habe ich gelesen, hat eine Frau nackt in Ihrem Hotelbett auf Sie gewartet ...
Carpendale: Nur zwei Sekunden, dann war sie raus. So etwas hasse ich. Drafi Deutscher hat mich mal auf sein Hotelzimmer eingeladen, da waren sechs Frauen, drei Männer, unerträglich, ich bin nach zwei Minuten gegangen, ich fand das eklig. Manchmal gucke ich Take Me Out, eine Datingshow, 30 Frauen, ein Mann. Und die Hälfte der Frauen sagen, dass sie einen Typen wollen, der ein bisschen Bad Boy ist. Ich finde ein bisschen Bad Boy schön, ich möchte nicht zu glatt wirken, aber wenn ich unter Männern bin und über Frauen geredet wird, widert mich das an. Männer haben zum Teil ein Bild von Frauen, sexuell gesehen, das finde ich abstoßend. Jemand hat mal vor mir geprahlt, er habe mit tausend Frauen geschlafen, total bescheuert.
ZEITmagazin: Sie sagten mal: Auf der Macho-Skala war ich in den Siebzigern eine Acht bis Neun, jetzt eine Drei. Was hat sich verändert?
Carpendale: Eigentlich bin ich nicht der harte Machotyp, ich bin ein harmloser Macho, ich komme besser zurecht im Gespräch mit Frauen als mit Männern. Mit meiner Frau Donnice bin ich seit 42 Jahren zusammen, mit meiner Ex-Frau Claudia habe ich ein sehr enges Verhältnis. Aber in den Siebzigerjahren, nach dem ersten großen Erfolg, hatte ich so eine Phase, da bin ich mit meinem Mustang Mach 1 durch Köln gefahren und war ein Macho – ich kam aus Südafrika und war erfolgreich, auch bei den Mädels.
ZEITmagazin: Ende der Siebziger begann Ihre erfolgreiche Phase mit dem Produzenten Dieter Weidenfeld. Sie hatten ihn engagiert, weil Sie sich fragten, warum trotz Ihrer Hits nur 400 Menschen zu Ihren Konzerten kommen.
Carpendale: Nach einer meiner Show in Aachen sagte er mir in der Garderobe: "Wenn du rauskommst auf die Bühne, weiß ich nicht, ob du derjenige bist, der das Mikro einrichtet, oder Howard Carpendale." So viel zum Chef im Ring. Er vermittelte mir, dass es nicht reicht, Hits zu haben. Roy Black hatte Riesenhits, aber mit Konzerten war er nicht erfolgreich. Man muss Menschen neugierig machen. Das versuche ich bis heute. Ich gehe nicht auf Promotion-Tour, sondern auf Personality-Tour. Auch deshalb kommentiere ich Rugby: Das sehen nicht viele, aber in der nächsten Talkshow werde ich drauf angesprochen. So baut sich was auf.
ZEITmagazin: Man muss etwas von sich zeigen? Und etwas zu zeigen haben?
Carpendale: Man muss überraschen und authentisch sein. Das ist ein ewiger Kampf von mir. Einmal musste ich in einem Fernsehbeitrag zwischen Oldtimern herlaufen, aber die interessieren mich einen Scheiß. Das spürte man auch. Es ist manchmal schwer, zu sagen: Nein, das passt nicht zu mir.
ZEITmagazin: Ihr Verhältnis zu Weidenfeld war nicht ganz einfach. Darf ich Ihnen eine Passage aus einem Porträt aus dem Jahr 2003 über Sie vorlesen?
ZEITmagazin: "Oft spricht Weidenfeld über Carpendale wie über einen ungezogenen Jungen. ‘Der Howard, der wollte ja immer was anderes’: mal Chansons singen (Weidenfeld: ‘Verkauft sich nicht!’), mal schlunzig wie Schimanski auf die Bühne (‘Geht nicht!’), mal nur noch in kleinen Clubs spielen (‘Lohnt sich nicht!’). Weidenfeld lässt maximal eine verbeulte Jeans gelten, ‘aber nur mit Armani-Jackett drüber’. Wie gern hätte Carpendale in einem ordentlichen Film mitgespielt. ‘Ach, der Howard’, sagt Weidenfeld dann, ‘der weiß doch, dass die Leute sich kaputtlachen, wenn er im Sonnenuntergang flötet: Isch liebe disch.’ Carpendale hat diese Anpasserei gestunken." Haben Sie sich von Weidenfeld eingeengt gefühlt?
Carpendale: Dieter und ich haben 35 Jahre lang nur gestritten. Aber es waren schöne Streits. Er hatte auch einen Trick: Wenn er mit jemandem redete und etwas von ihm wollte, machte er mich runter. Und sagte dann: Aber eins sage ich dir: Auf der Bühne ist der Typ top!
ZEITmagazin: Er wollte die letzte Aussage so glaubwürdiger machen?
Carpendale: Und sich auch ein bisschen von mir distanzieren.
ZEITmagazin: Finden Sie sich denn in der zitierten Passage wieder?
Carpendale: Da finde ich mich vollkommen wieder. Wir krachten gegeneinander, aber wussten: Es bringt auch was am Ende. Bei geschmacklichen Dingen wie Kleidung gab es immer viel Ärger, ich wollte nicht picobello erscheinen, sondern der lässige Typ sein. Unsere 35 Jahre endeten mit einem Streit am Telefon, er legte auf, und ich hörte noch, wie er sagte: "Arschloch." Da habe ich ihn gleich zurückgerufen: "Dieter, ist da noch jemand bei dir? Oder hast du das gerade zu mir gesagt?" Damit war es vorbei. Heute sind wir gute Freunde. Er ist jetzt 96 Jahre alt. Zwischen uns gibt es einen großen Respekt. Er hat sehr genau gewusst, wie man jemanden aufbaut. Aber irgendwann hat es nicht mehr gepasst.
»Meine Frau Donnice und ich haben höllische Krisensituationen durchgemacht. Ich halte es für die größte Leistung meines Lebens, das durchgehalten zu haben«
ZEITmagazin: 2008 haben Sie sich getrennt. Davor lag eine lange Phase, in der Sie in einer tiefen Krise steckten. Sie lebten in Florida, hatten 2003 das letzte Konzert Ihrer Abschiedstournee gegeben und sich eigentlich darauf gefreut, den Tag mit Golfspielen zu verbringen. Stattdessen sagen Sie in Ihrem Buch "Das ist meine Zeit" über die Jahre nach Ihrem Abschied von der Bühne: "Das Einzige, worauf ich mich freute, war das Einschlafen."
Carpendale: Mir ist bis heute nicht richtig klar, wie diese Depression gekommen ist. Ich glaube, dass man sich nicht vorstellen kann, wie es ist, mit jemandem zusammenzuleben, den man sehr liebt, und ... Wir haben alle eine Rolle in einer Beziehung. Meine Frau Donnice stammt aus Mississippi, sie hat 32 Pflegeeltern gehabt, wurde nur rumgeschubst, drei Monate hier, drei da. Sie sagt bis heute, dass ich der einzige Mensch bin, dem sie wirklich vertraut. Und wenn man dann zusehen muss, wie diese Scheißflasche ihr Leben übernimmt ...
ZEITmagazin: Ihre Frau war alkoholabhängig.
Carpendale: Ja, aber sie war keine Partytrinkerin, sondern sie wollte sich betäuben. Möglicherweise nicht ganz ohne meine Schuld. Ich hatte eine Affäre gehabt, die ziemlich ernst war. Es fällt mir nicht leicht, das zu erzählen. Nicht weil ich es geheim halten will. Aber ich habe mal eineinhalb Stunden mit Markus Lanz in einem TV-Spezial geredet, ein super Interview, und am nächsten Tag steht in der Zeitung: "Howie färbt seine Haare". Das bleibt am Ende übrig von einem langen Gespräch. Da könnte ich kotzen. Und so ein Satz, wie ich ihn gerade gesagt habe, der gibt auch Schlagzeilen, die dann ohne Kontext stehen. Aber reden wir weiter.
ZEITmagazin: Wie haben Sie gemerkt, dass Ihre Frau süchtig ist?
Carpendale: Das war ein schleichender Prozess über Monate, Ende der Neunziger ging es los. Und es hat 18 Jahre angedauert. Wir haben höllische Krisensituationen durchgemacht. Ich sage ganz offen, dass ich es für die größte Leistung in meinem Leben halte, das ausgehalten zu haben.
ZEITmagazin: Sie haben sich in der Zeit mehrmals voneinander getrennt.
Carpendale: Ja, aber ich wollte sie nicht verlieren. Wir waren nicht nur Mann und Frau, sondern Seelenverwandte. Ich habe mich noch nie so wohlgefühlt mit einem Menschen. Donnice war in vielen Kliniken, die in den USA der Horror sind. Die interessieren sich nicht für deine Krankheit, sondern für die 1.500 Dollar, die du am Tag zahlst. Keine Droge tötet mehr Menschen als Alkohol. Dagegen ist ein Joint ein Witz, aber das ist verboten! Das finde ich absurd.
ZEITmagazin: Waren Ihre Tourneen in diesen Jahren auch eine Art Flucht vor der Situation zu Hause?
Carpendale: Es kam vor, dass mein Sohn Cass mich um fünf vor acht anrief und ich dann um acht auf die Bühne gegangen bin für zweieinhalb Stunden. Das war hart.
ZEITmagazin: Hat man Ihnen das angemerkt?
Carpendale: Nein. Das ist der Sportler in mir.
ZEITmagazin: 2006 konnten Sie nicht mehr.
Carpendale: In der Zeit hat mich ein vermeintlicher Freund um viel Geld gebracht. Die Bühne fehlte mir. Es kam alles zusammen, und ich habe wirklich nur noch dagesessen und an die Wand gestarrt, tagelang.
ZEITmagazin: Sie schreiben, dass Sie über Suizid nachdachten und auch genau wussten, wie Sie es machen würden. Was war es für ein Gefühl, sich das vorzustellen?
Carpendale: Ich hatte keine Gefühle mehr. Ich war tot. Kein Glück, keine Trauer. Claudia, meine Ex-Frau, sagte zu mir: Wenn du es tust, bitte sorg dafür, dass deine Söhne dich noch angucken können. Das hat bei mir richtig reingehauen.
ZEITmagazin: Sie haben mit ihr darüber geredet?
Carpendale: Unendlich, stundenlange Gespräche.
ZEITmagazin: Ihr Sohn Wayne holte Sie schließlich kurz vor Weihnachten nach Deutschland, Anfang 2007 gingen Sie drei Monate in eine Klinik in Bayern. Wie sah dort Ihr Tag aus?
Carpendale: Ich kam aus einem 600-Quadratmeter-Haus in Florida in ein acht Quadratmeter kleines Zimmer, aber ich habe mich sofort der Situation angepasst. Es gab nicht viel zu tun. Jede Woche kam eine Psychologin, ich habe viel mit ihr gesprochen und geweint. Man baut seine Struktur für den Tag auf. Es war für mich eine Riesensache, mich ins Auto zu setzen, nach Penzberg zu fahren und mir ein Stück Kuchen zu holen. Und ich bin viele Abende eingeschlafen mit meinem Handy in der Hand, in der Hoffnung, dass Donnice anruft. Sie war in L.A. in einer Entzugsklinik. Aber sie rief nicht an.
ZEITmagazin: Warum haben Sie nicht angerufen?
Carpendale: Der Rat der Psychologen war, keinen Kontakt aufzunehmen.
ZEITmagazin: Was wollten Sie von ihr hören?
Carpendale: Dass sie mir sagt, dass es vorbei ist, das Trinken. Aber ich war schwach, ich habe ihr Briefe geschrieben, die die schnulzigsten Schlagertexte wären – schau dir den Mond an, ich gucke zur gleichen Zeit, und unsere Blicke können sich treffen: solchen Kitsch. Nach dem Entzug holte ich sie nach Deutschland, das war auch keine gute Idee, denn es ging hier weiter, bis sie in Memmingen in einer Klinik war. Als sie da rauskam, sagte sie: Ich höre auf. Seitdem hat sie keinen Schluck getrunken. Das schaffen nur 20 Prozent, und ich bin sehr stolz auf sie. Das war 2016. Und dann haben wir geheiratet, das hatten wir uns versprochen.
ZEITmagazin: Sie reden sehr offen über die schwierigen Phasen in Ihrem Leben.
Carpendale: Ich glaube, das gehört zur Glaubwürdigkeit. Auch das habe ich von Weidenfeld gelernt: Man kann jemandem nur die großen Dinge glauben, wenn er auch bereit ist, über die schlechten Dinge zu reden.
ZEITmagazin: Was war mit Ihrer Depression? Sie sind 2008 auf die Bühne zurückgekehrt, der Rücktritt vom Rücktritt – hat das schon ausgereicht?
Carpendale: Nein, überhaupt nicht. Die Tour war ausverkauft, aber Weidenfeld sagte mir: "Du warst nicht gut", und es stimmte. Der Moment der Heilung war wirklich ein Moment: Mein neuer Manager wollte ein ganz neues Team um mich aufbauen und hatte an einem Tag in einem Hotel in Berlin 15 verrückte Typen versammelt, aus dem Rap, dem Hip-Hop, Johannes Oerding, jemand aus dem Team von Sido ... Ich hatte Schiss, da reinzugehen, ich singe ja Schlager. Aber als ich reinkam, applaudierten alle.
ZEITmagazin: Interessant, dass Sie das überrascht hat. Als würden Sie sich nach all den Jahren immer noch nicht anerkannt genug fühlen.
Carpendale: Nein, ich bin Realist! Ich weiß, Schlagersänger ist ein Scheißwort. Es ist negativ. Aber es ging denen gar nicht so sehr um meine Musik, sondern darum, dass ich seit 55 Jahren in diesem Geschäft erfolgreich bin. Und etwas Neues probieren möchte. Mit Weidenfeld hatte ich das Gefühl, unsere Musik ist alt, unsere Witze sind alt, wir saßen uns mit Gitarren gegenüber und sagten uns: Mensch, das haben wir alles schon mal geschrieben. Aber dort in Berlin hatte ich das Gefühl, in einem runden Zimmer zu sein, wo in alle Richtungen Türen aufgehen. Ich habe eine Zukunft gesehen. Nicht Erfolg. Sondern neue Ziele. Das war meine Heilung.
ZEITmagazin: Sie sind jetzt 77 Jahre alt, seit fünf Jahren Großvater. Wie ist es, Ihren Sohn Wayne als Vater zu sehen?
Carpendale: Wenn ich ihn anschaue, denke ich: Von ihm hätte ich viel lernen können. Er ist ein toller Vater, kümmert sich sehr um seinen Sohn. Weihnachten sind wir immer alle zusammen, meine Frau, meine Söhne und meine Ex-Frau Claudia, jetzt mein Enkel, auch in den Jahren in den USA war das so.
ZEITmagazin: Beneiden Sie ihn?
Carpendale: Nein. Wir haben eine tolle Beziehung, aber er ist anders als ich. Wayne ist eher wie Claudia, sehr fürsorglich. Mein anderer Sohn, Cass, ist für mich ein großes Rätsel. Donnice und ich haben ihn oft allein gelassen, als er ein Teenager war, zwischenzeitlich hat er sogar bei einer anderen Familie gewohnt, der ich sehr dankbar bin. Trotzdem hat er den besten Abschluss seiner Schule gemacht und keinen einzigen Tag gefehlt. Er baut Computerspiele, hat 50 Angestellte, kriegt Aufträge aus Japan und Südkorea. Bei meinem letzten Besuch bat ich ihn, mir mal genau zu erklären, was er eigentlich macht, und er sagte: Dad, es gibt 20 Leute auf der Welt, die verstehen, was ich mache, und du gehörst nicht dazu. Und er hat recht, ich kapiere das nicht, ich hatte vor einem halben Jahr noch nicht mal ein Smartphone!
»Ich glaube, ich war ein Vater, auf den man sich verlassen kann. Aber ein Mann mit meinem Beruf wird nie der beste Vater sein. Da ist man zu egoistisch«
ZEITmagazin: Wie waren Sie selbst als Vater?
Carpendale: Ich glaube, ich war okay. Ein Vater, auf den man sich verlassen kann, wenn man ihn braucht. Aber ein Mann mit meinem Beruf wird nie der beste Vater sein. Da ist man zu egoistisch.
ZEITmagazin: Ein Lied von Ihnen heißt "Hey Daddy", da bittet ein Sohn seinen Vater, nach Hause zu kommen, weil er und seine Mutter ihn mehr brauchen, als er denkt ...
Carpendale: Ja? An das Lied erinnere ich mich gerade nicht. Ich glaube, dass meine Söhne mich lieben. Und ich liebe sie auch. Wir haben eine enge Verbindung. Aber ich würde nicht sagen, dass ich ein Riesenvater war. Ich war sehr viel von Cass weg. Heute hat er Geburtstag, ich rufe ihn nachher an.
ZEITmagazin: In dem Lied, es ist von 2001, heißt es: "Da steht mein Junge an der Tür und sagt: Hey Daddy, bleib doch hier ... Du lässt uns viel zu oft allein, du weißt nicht, wie Mama weint ..."
Carpendale: Das waren die Jahre in den USA, wo ich oft drei Monate auf Tour war in Deutschland. Ich habe neulich die Beckham-Doku auf Netflix geguckt. Er sagt es ganz hart, härter, als ich es sagen würde: "Das Spiel war mir wichtiger als alles andere." Aber auch ich habe nie das Gefühl gehabt, dass es falsch ist, wegzugehen. Ich habe es getan.
Er sei "ein harmloser Macho" sagt Carpendale über sich selbst. Hier ein Bild aus den Neunzigerjahren. © privat
ZEITmagazin: Ihr Sohn Wayne wurde in Köln als Teenager gemobbt, weil die Mitschüler Ihre Musik blöd fanden. Hat Sie das wütend gemacht?
Carpendale: Nein, ich wusste, dass andere Prominente die gleichen Probleme hatten, Beckenbauer zum Beispiel, obwohl er ja sehr beliebt war. Das ist leider eine deutsche Angewohnheit, neidisch zu sein. Ich habe vor Wayne unendlichen Respekt. Er hat so viel Empathie. Ich bewundere das. Ich habe Empathie, aber man muss mich schon drauf aufmerksam machen, das weiß ich. Wenn Claudia mir am Telefon von einem Problem erzählt, kann es sein, dass ich nicht angemessen reagiere, und dann sagt sie: Sag mal, hast du gehört, was ich gerade gesagt habe? Dann kann ich sehr viel Mitleid empfinden. Aber ich sehe Dinge oft nicht, das gebe ich zu.
ZEITmagazin: Wayne hat Sie 2006 aus den USA nach Deutschland geholt. Warum sind Sie nie in die USA zurückgegangen?
Carpendale: Ich wollte weg. Ich habe es gehasst. Die USA haben sich nach dem 11. September 2001 verändert. Der Irakkrieg führte zum Streit mit meinen Golffreunden, die sagten, du bist Deutscher, du hast keine Ahnung! Donnice, Cass und ich lebten in einer traumhaften Anlage in Florida, Admiral’s Cove, ein Venedig in modern, drei Golfplätze, Céline Dion wohnte dort, viele Profigolfer ... Ein Paradies. Aber zugleich waren diese 800 Häuser ein Mini-Amerika. Es wohnten dort nicht nur Superreiche, sondern auch andere, die mal für 600.000 Dollar eine 80-Quadratmeter-Wohnung gekauft hatten. Immer noch viel Geld, natürlich, aber nichts im Vergleich zu den Typen mit 20 Millionen. Und diese Superreichen haben bei den Eigentümerversammlungen alles Mögliche beschlossen, was ein Vermögen kostet – den Golfplatz aufbohren und neu bauen, immer weiter und immer mehr, bis die weniger Reichen sich das Leben dort nicht mehr leisten konnten. Sie wurden absichtlich rausgedrängt. Es ging nur noch um Geld, Geld, Geld.
ZEITmagazin: Sie lebten dort in einem 600-Quadratmeter-Haus, das Wohnzimmer, habe ich gelesen, war 100 Quadratmeter groß und größtenteils mit weißem Marmor ausgestattet. Das klingt, ehrlich gesagt, irgendwie ungemütlich.
Carpendale: Ooooch ... mit hohen Decken, Blick auf den Swimmingpool ... es war schon sehr hübsch. Aber wir haben die Hälfte des Hauses so gut wie nie gesehen, es war viel zu groß. Momentan leben wir auf 170 Quadratmetern in einer Wohnung in der Nähe von München.
ZEITmagazin: Sie sind ein Nachrichtenjunkie und schauen viel amerikanisches Fernsehen. Warum?
Carpendale: Wenn ich nach Hause komme oder ins Hotel, schalte ich immer als Erstes CNN an. Ich will wissen, was passiert. Obwohl es mich traurig macht. Das Waffenproblem in den USA zum Beispiel: Der Hauptgrund, warum in den USA Kinder sterben, sind Waffen. In diesem Jahr gab es schon 560 Massenschießereien in den USA, dazu zählen alle die, bei denen es mehr als vier Tote gab. Und es passiert gar nichts. In Amerika ist das normal. Ich bin dort selbst mit Schusswaffen in Berührung gekommen.
ZEITmagazin: Was ist da passiert?
Carpendale: Einmal hat die Polizei mich angehalten, als ich im Auto saß, weil auf der anderen Straßenseite jemand stand, der sich eine Pistole in den Mund hielt. Die Polizisten zielten über meine Motorhaube auf ihn, ich kroch aus dem Wagen raus, und dann haben sie ihn abgeknallt. Ein anderes Mal ging es Donnice sehr schlecht, wegen des Alkohols, ich rief um zwei Uhr morgens die Polizei. Als es klingelte, machte ich die Tür auf. Der Polizist sagte zu Donnice, sie solle meinen Ausweis holen, ich sagte, ich hole ihn schon, und er schrie mich an: "Sir, don’t move!" und legte die Hand an die Pistole. Da muss man so aufpassen, ein winziger Fehler, und es wird auf dich geschossen oder du wirst festgenommen ... Und dann brauchst du eine halbe Million für einen Anwalt. Es ist ein verrücktes System, arme Menschen haben keine Chance. Deswegen sitzen so viele Schwarze im Gefängnis.
ZEITmagazin: Sie leben seit 20 Jahren nicht mehr in den USA, warum wühlt Sie die Politik dort noch so stark auf?
Carpendale: Das hat mit Trump zu tun. Ich bin ihm mal begegnet, 2006, in Florida, auf dem Golfplatz.
ZEITmagazin: Wie war das?
Carpendale: Sehr lustig. Er landete mit seinem Hubschrauber neben dem Clubhaus, setzte sich an den Tisch neben uns und bestellte einen Hamburger. Dann kam er zu uns, legte seine Hand auf meine Schulter und sagte: "He is a great golfer, isn’t he?" Er hatte mich verwechselt, ich glaube, mit Greg Norman, einem legendären Profigolfer, der in der Gegend wohnte und so blond ist wie ich. Great" ist ja Trumps Lieblingswort. Er arbeitet immer mit Superlativen, in seinem Buch schreibt er, du musst alles so verkaufen, als ob es das nur einmal auf der Welt gibt. Seit diesem Treffen fühlte ich mich komischerweise verpflichtet, seinen weiteren Weg zu verfolgen. In den USA ist eines der größten Probleme, dass die Politiker keinerlei Qualifikationen brauchen, sondern vor allem Geld. Und dann geht es nur noch darum: Wie schaffe ich die nächste Wahl? Das macht mich fassungslos. Nächstes Jahr wird gewählt, und es kann keine gute Lösung geben. Wenn Biden gewinnt, wird Trump die Wahl anfechten, und wenn Trump gewinnt, haben wir Trump. Ich bin auch kein Biden-Fan, er ist keiner, der die Menschen inspiriert. Es ist eine Tragödie, dass es auf diese beiden alten weißen Männer hinausläuft. Darf ich ein kleines Spiel mit Ihnen machen?
Carpendale: Amerika hat mehr als 30 Billionen Dollar Schulden. Ich glaube, dass wir das Gefühl dafür verloren haben, was solche Summen bedeuten. Wir wissen nicht, worüber wir reden. Zehn Tage sind eine Million Sekunden, nicht ganz, aber fast. Sie müssen schnell antworten, nach Bauchgefühl: Wie viel sind eine Billion Sekunden?
ZEITmagazin: 1000 Jahre?
Carpendale: 32.000 Jahre. Mir soll keiner erzählen, dass man das in zehn Jahren zurückzahlt. Alleine die Zinsen ... Die Welt ist aus den Fugen. Die Perspektivlosigkeit von Millionen von Menschen muss irgendwann explodieren. Es kann nicht sein, dass Menschen, und da schließe ich mich mit ein, obwohl ich nicht Taylor Swift bin, irre Summen verdienen, und gleichzeitig hungern andere. Ich weiß, das klingt naiv, aber da müssen wir etwas tun. Es ist alles miteinander in einem Knoten verwoben, Klima, Migration, Inflation, Kriege, so etwas haben wir noch nie gehabt. Ich glaube, Stephen Hawking hat gesagt, er gibt der Welt noch 100 Jahre. Vielleicht war er zu optimistisch.
ZEITmagazin: Sie haben in einer anderen Zeit gelebt – für Ihre Generation ging es immer nur aufwärts.
Carpendale: Ja, das stimmt. Aber wir haben dabei alles kaputt gemacht. Unsere Generation war gierig, unendlich gierig. Auch zu gierig auf Geld.
ZEITmagazin: Und da nehmen Sie sich nicht aus?
Carpendale: In meiner Situation sagt es sich natürlich leicht, dass mich Geld nicht interessiert. Aber im Vergleich zu meinen Freunden in den USA habe ich null Interesse daran, mein Geld zu verdoppeln. Diese reichen Leute, die spekulieren, kriegen einfach nie genug.
ZEITmagazin: Tun Sie denn etwas Sinnvolles mit Ihrem Geld? Spenden Sie zum Beispiel?
Carpendale: Ich habe vieles gemacht, aber viel zu wenig.
ZEITmagazin: Sind Sie manchmal froh, dass Sie diese neue Zeit nicht mehr erleben werden?
Carpendale: Ja. Auf meiner letzten Tournee habe ich den Witz gemacht: Manchmal stehe ich morgens auf, und wenn ich in der Zeitung meine Todesanzeige nicht finde, frühstücke ich. Ich habe gar kein Problem damit, wenn es morgen oder übermorgen oder in zehn Jahren vorbei ist.
»Dass ich irgendwann nicht mehr hier bin, ist eben so. Ich glaube an die Sterbehilfe, einer meiner größten Wünsche ist, dass ich das mal selbst entscheiden darf«
ZEITmagazin: Wie kann man keine Angst vor dem Tod haben?
Carpendale: Vor dem Sterben vielleicht. Aber dass ich irgendwann nicht mehr hier bin, das ist eben so. Ich finde, wir reden viel zu wenig über den Tod. Ich glaube an die Sterbehilfe, einer meiner größten Wünsche ist, dass ich das mal selbst entscheiden darf.
ZEITmagazin: Sprechen Sie mit Ihrer Familie darüber?
Carpendale: Die lehnen das total ab. Ich wünsche mir auch, mich mit jedem aus meiner Familie hinzusetzen und zu reden, jedem etwas zu sagen, woran er oder sie denken kann, wenn ich tot bin. Ich möchte, dass wir gemeinsam über alles reden, Positives wie Negatives. Dass nichts mehr offenbleibt. Aber damit habe ich bei meiner Familie keine Chance.
ZEITmagazin: Eigentlich wollten Sie, dass Ihre Asche auf dem Golfplatz verstreut wird, aber das ist verboten. Was wird auf Ihrem Grabstein stehen?
Carpendale: Ich würde gern schreiben: "Ein cooler Typ, aber jetzt ist er ganz kalt". Das kam bei meiner Familie nicht gut an. Oder: "Das hätte ich von ihm nicht gedacht!" Das finde ich ziemlich lustig, und ein bisschen wünsche ich mir ja immer, dass die Leute das über mich sagen. Aber ich werde keinen Grabstein haben. Meine Asche wird irgendwo verstreut werden.
ZEITmagazin: Wie möchte Sie, dass man sich an Sie erinnert? Was soll in Ihrem Nachruf stehen?
Carpendale: Ich glaube nicht, dass ich arrogant bin, aber in Deutschland laufen mehrere Hunderttausend Menschen rum, die meine Shows gesehen haben und finden, dass es die beste deutsche Show ist. Die anderen 79 Millionen haben halt Pech gehabt! (lacht). Das reicht mir voll und ganz. Aber ich mache mir nichts vor. Wenn ich heute manchmal jungen Menschen von Elvis vorschwärme, schauen die mich verständnislos an, die wissen gar nicht, von wem ich rede. Wenn selbst Elvis vergessen wird ... Mir ist absolut klar, dass es vorbei ist, wenn es vorbei ist. Ich stelle mir oft vor: An dem Tag, an dem die Nachrichten endlich mal über mich berichten – "Howard Carpendale ist heute gestorben" –, da wird das irgendwo einer im Auto im Radio hören und kurz denken: "Oh, das tut mir leid ..." Aber schon im nächsten Moment: "Warum hupt der Blödmann da neben mir?"
Liebe Grüße
arivle 🕊
"Es gibt keinen Weg zum Frieden,
denn Frieden ist der Weg"
Mahatma Gandhi
Beiträge: | 9.980 |
Registriert am: | 04.03.2011 |
Danke Arivle.
Oh man.......ein sehr offenes Interview. Ich musste mehrmals schlucken.
Es hat mich sehr berührt.
Liebe Grüße
Angelika
Beiträge: | 2.025 |
Registriert am: | 02.11.2014 |
Danke liebe Arivle für dieses lange Interview😘
Bei einigen Aussagen bekam ich echt Gänsehaut, es geht wirklich sehr tief und hat mich auch sehr innerlich berührt
Liebe Grüße, Kiki
Gott kennt dein Gestern. Gib ihm dein Heute. Er sorgt für dein Morgen. (Ernst Modersohn)
[/url]
Beiträge: | 4.921 |
Registriert am: | 05.03.2011 |
Das ist ja ein super tolles Interview!!!
Danke, arivle, fürs Einstellen!
Beiträge: | 279 |
Registriert am: | 04.10.2011 |
Der Print-Ausgabe, die am 21.12.23 zum Preis von 6,50 € erscheint, liegt ein Magazin bei. In diesem ist das Interview in identischem Wortlaut zu finden; mit 2 weiteren neuen und 2 bekannten Fotos.
Liebe Grüße
arivle 🕊
"Es gibt keinen Weg zum Frieden,
denn Frieden ist der Weg"
Mahatma Gandhi
Beiträge: | 9.980 |
Registriert am: | 04.03.2011 |
Dank 🤗
Deinem Einsatz uns immer aktuell auf dem neuesten Stand zu halten,
können wir uns das Geld für die Zeitung sparen !
Lieben Dank an dich Arivle und Grüße
Ulrike ⛵
Beiträge: | 523 |
Registriert am: | 28.11.2012 |
Hier sind die zum Interview gehörenden Fotos zu sehen: 📷
👉👉
HIER klicken
Liebe Grüße
arivle 🕊
"Es gibt keinen Weg zum Frieden,
denn Frieden ist der Weg"
Mahatma Gandhi
Beiträge: | 9.980 |
Registriert am: | 04.03.2011 |
Respekt und Ansehen
Der heutige Morgengruß von SWR1 / 4:
👉👉
https://www.kirche-im-swr.de/beitraege/?id=39278
Liebe Grüße
arivle 🕊
"Es gibt keinen Weg zum Frieden,
denn Frieden ist der Weg"
Mahatma Gandhi
Beiträge: | 9.980 |
Registriert am: | 04.03.2011 |
Danke Arivle.
Toll geschrieben. Ja, das Interview hat mich auch tief beeindruckt.
Liebe Grüße
Angelika
Beiträge: | 2.025 |
Registriert am: | 02.11.2014 |
Forum Software von Xobor.de Einfach ein Forum erstellen |