RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#1 von arivle , 18.01.2018 19:19

Danke an Andi für die Info.


"Wir sind auf zu vielen Irrwegen“
18. Januar 2018 Autor: Steffen Rüth (SR)

Interview: Howard Carpendale über sein Album, das bedingungslose Grundeinkommen und die Lage der Welt

Howard Carpendale über sein Album, das bedingungslose Grundeinkommen und die Lage der Welt.
© Medienbüro Anke Wolf

Das Leben meint es derzeit gut mit Howard Carpendale. Von den Depressionen nach dem zwischenzeitlichen Karriererückzug längst genesen, immer noch verliebt in Partnerin Donnice Pierce, die seit längerem keinen Alkoholrückfall mehr gehabt habe, wie er sagt, und die Söhne Wayne und Cass auf eigenen Beinen. Und so wagt sich die Ikone des deutschen Schlagers mit 71 Jahren an ihr vielleicht mutigstes Album: „Wenn Nicht Wir“ ist menschlich, nachdenklich, oft balladesk, manchmal voller Hoffnung und zuweilen auch verzweifelt. Mit dem seichten Kram vieler seiner Mitbewerber hat „Wenn Nicht Wir“ jedenfalls denkbar wenig gemeinsam. Wir unterhielten uns mit Howard Carpendale in München.

Herr Carpendale, niemand, der „Wenn Nicht Wir“ hört, wird Sie jemals wieder einen Schlagersänger nennen.

Howard Carpendale: Das freut mich wirklich sehr. Ich musste 71 Jahre alt werden, um solch ein Album zu machen.

Sie haben das Album mit dem Produzenten Christian Lohr aufgenommen, der unter anderem mit Sting, Joss Stone und Gianna Nannini gearbeitet hat. Wie sind Sie einander begegnet?

Carpendale: Über den Kollegen Gregor Meyle, in dessen Sendung „Meylensteine“ ich zu Gast war. Unser Ziel war es, ein Album zu machen, das nach „heute“ klingt, sowohl von den Themen als auch den Arrangements her. Und ich will behaupten: Ich habe noch nie so gut gesungen wie jetzt.

Mit Meyle haben Sie auch Ihren 40 Jahre alten Song „Fremde oder Freunde“ neu aufgenommen. Warum?

Carpendale: Ich hielt das Lied immer für eine Perle. Wir singen es als langsamen Blues. Mit Schlager hat das wirklich nichts mehr zu tun.

Warum ist Ihnen die Abgrenzung vom Schlager eigentlich so wichtig?

Carpendale: Als Südafrikaner wuchs ich mit Elvis, den Beatles, den Rolling Stones auf. Ich kam über Umwege nach Deutschland und wollte in die Musikbranche. Damals, in den Siebzigern, war Schlager das Einzige, das lief. Also habe ich mitgemacht, auch wenn ich als englischsprechender Mensch immer eine etwas andere Vorstellung davon hatte, was gute Musik ist. Seit Ende der Achtziger habe ich mich Schritt für Schritt vom deutschen Schlager wegbewegt, und dieses Album ist das Endprodukt dieser Entwicklung.

Ausgerechnet jetzt boomt Schlager wieder. Warum?

Carpendale: Der alte Schlager ist viel Nostalgie, gepaart mit dem Verlangen nach Party. Es erinnert viele Leute an früher, und macht den Leuten einfach großen Spaß. Es sind musikalische Glückspillen, mit denen man für einen kurzen Moment die Probleme ausblendet. Letztlich entscheidet das Publikum selbst, was ihm gut tut und was es am Ende hören will.

Finden Sie den Wunsch nach Eskapismus dennoch falsch?

Carpendale: Ich kann das sehr gut verstehen, dass den Menschen unsere Welt zu kompliziert und zu ernst ist. Die Leute wollen abgelenkt werden, sie wollen den Beat zum Mitklatschen. Balladen und nachdenkliche Lieder haben es in solch einem Umfeld schwer.

Im Stück „Hier“ sagen Sie: „Viel mehr als das was war, sind wir das, was noch passiert“. Ist Nostalgie nicht so Ihr Ding?

Carpendale: Überhaupt nicht! Gestern ist vorbei. Alles, was ich geleistet habe, zählt kein bisschen, wenn ich nicht nach vorne schaue. Wissen Sie, ich habe Freunde, in meinem Alter und sogar jünger, die sind immer so „Weißt Du noch damals?“. Ich hasse solche Gespräche. Das macht alt. Nee, nichts für mich. Ich verkehre am liebsten mit Menschen, die jung im Kopf sind, unabhängig vom Alter.

Sind Sie jung im Kopf?

Carpendale: Ich versuche es. Wirklich jung zu sein ist nicht wichtig, man kann es sowieso nicht beeinflussen. Wichtig ist, nicht in Situationen zu kommen, in denen man nur von - und in – der eigenen Vergangenheit lebt. Ich halte sehr viel von dem Wort „Relevanz“. Solange man relevant ist, hat man Ziele und was zu tun. Alt wirst du, wenn du merkst „Du hast keine Bedeutung mehr“. Dann fängst du an, Blumen zu basteln. In diese Situation möchte ich nicht kommen.

Wie ist es denn für Howard Carpendale gewesen, 70 zu werden?

Carpendale: Wenn mich meine unmittelbare Umgebung nicht daran erinnert hätte, dann hätte ich ganz vergessen, dass ich Geburtstag habe.

„Du bewegst mich/ Du trägst mich/ Du zerstörst mich/ Du baust mich wieder auf“ singen Sie in „Das Lied, das Leben heißt“. Ein Liebeslied an das Leben als solches?

Carpendale: Ja. Ein besonderer, wunderschöner Titel. Vielleicht eine der schönsten Balladen, die ich je gesungen habe.

Sie haben im Leben nicht nur glückliche und erfolgreiche, sondern auch schwierige Zeiten mitgemacht. Gehört beides zu einem erfüllten Leben dazu?

Carpendale: Unbedingt! Ohne Tiefs und Rückschläge kannst du nicht wissen, was es heißt, wirklich zufrieden zu sein. Ich habe alle Seiten des Lebens gesehen, ich habe verdammt harte Erfahrungen durchgemacht, aber auch unendlich viel Glück erfahren. Mein Leben ist ein Bild mit allen Farben.

Würden Sie mit dem Wissen von heute Dinge anders machen?

Carpendale (überlegt): Das ist schwer zu beantworten. Ich war Leichtathlet und Rugbyspieler. Vielleicht hätte ich gern erlebt, wie es ist, Profisportler zu sein.

Im Lied „Babylon“ singen Sie: „Wird diese Welt wie Babylon im Wahnsinn untergehen/ Oder können wir das Ding noch drehen?“ Was denken Sie?

Carpendale: Auf dem Weg, den wir im Moment gehen, werden wir gar nichts mehr drehen können. Es muss etwas passieren. Wir müssen wohl etwas wirklich Einschneidendes erleben, und ich hoffe nicht, dass es ein Krieg sein wird, um zu merken, dass es so nicht weitergeht. Natürlich ist es schwierig, alle Menschen zusammenzubringen, die Skala der Meinungen ist zwischen unterschiedlichen Ländern und auch innerhalb der meisten Länder sehr breit. Aber wir müssen unsere Fähigkeiten, unsere Entwicklung, unseren Wohlstand einsetzen, um voranzugehen.

„Sag’ mir wer/ wenn nicht wir“, so geht der Refrain des Titelsongs.

Carpendale: Genau. Der Vorsprung, den wir haben in Ländern wie Deutschland, Österreich, Schweiz, den skandinavischen Ländern, den müssen wir einsetzen. Nehmen wir als Beispiel Homosexualität. In Skandinavien sind sie noch deutlich weiter, was Liberalität und Toleranz angeht, von diesen Gesellschaften können wir lernen. Deutschland muss noch toleranter werden. Ich bin froh, dass ich heute in einem Land lebe, in dem die Menschen heiraten können, wen sie wollen. Mir ist es scheißegal, wer sich liebt. Hauptsache, sie lieben sich. Trotzdem scheint die Mehrheit in unserer Gesellschaft eher auf Hass, Krawall und Gewalt eingestellt als auf Liebe. Mich beschäftigt das doch sehr.

Den meisten Menschen in Deutschland scheint es gut zu gehen, trotzdem nimmt die Polarisierung zu. Warum?

Carpendale: Einen Teil der Schuld, das sage ich auch in „Babylon“, gebe ich unseren Medien. Wir werden im Fernsehen manipuliert mit so viel Häme und Sarkasmus, das ist keine gute Schule für Menschen. Wir stehen vor einem Berg von Problemen, Trump, Nordkorea, Rassismus, Ungerechtigkeit, vieles mehr. Aber vor diesem Berg stehen über sieben Milliarden Menschen. Um ihn zu bewältigen, müssen wir eine gewisse Harmonie untereinander zeigen. Und uns nicht noch über die anderen lächerlich machen.

„Babylon“ erinnert an das berühmte Stück „We Didn’t Start The Fire“ von Billy Joel.

Carpendale: Danke. Ja, so ein Lied in der Art wollten wir machen. Mir ist bewusst, dass der Text noch härter hätte ausfallen können, aber ich habe mich für ein bisschen Augenzwinkern entschieden, vielleicht auch für eine leichte Verharmlosung. Die Leute würden es nicht akzeptieren, wenn ich Schwarzmalerei betriebe.

Ein Bild, wie es gehen könnte, zeichnen Sie in „Füreinander da“.

Carpendale: Das ist die zweite Stufe von „Babylon“, einfach umzusetzen im alltäglichen Leben. Wir sind die Typen im Auto, die hupen und den Finger zeigen, die ungeduldig sind und egoistisch. Ich schließe mich da mit ein. Ich bin kein Gutmensch. Ich frage mich nur: Wie sind wir in diese Situation gekommen?

Haben Sie auch eine Antwort?

Carpendale: Das ist jetzt ein ziemlicher Schwenk, aber ich bin überzeugt: Ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist das Geld. Es ist viel zu wichtig geworden, besonders bei reichen Menschen. Die Armen haben ja nichts. Ich würde es für einen richtigen Weg, zumindest für einen Anfang halten, wenn jeder im Monat 1000 Euro bekommt. Jeder Mensch, der geboren wird, hat ein Recht auf Essen und ein Dach über dem Kopf. Und wenn seine Lebensform Faulheit ist, dann soll er eben faul sein. Aber die Chance, etwas zu bekommen, womit ich etwas aufbauen kann, die ist wichtig. Viele Menschen haben überhaupt keine Möglichkeit, etwas an ihrer wirtschaftlichen Situation zu ändern. Wir werden nicht glücklich, so lange das so bleibt.

Sie sind also für das bedingungslose Grundeinkommen?

Carpendale: Das wäre ein Traum. Wir haben es ermöglicht, dass Manager ein Vermögen verdienen und trotzdem Autos verpfuschen und Kunden hinters Licht führen. Wir sind auf zu vielen Irrwegen unterwegs, wir müssen zurück zu mehr Fairness. Und wir müssen ehrlicher werden, mutiger.

Haben Sie ein Beispiel?

Carpendale: Die Mitglieder der Republikanische Partei in den USA akzeptieren die Machenschaften eines Herrn Trump, um sich ihre Karriere nicht zu verbauen. Die werden teilweise wahnsinnig vor Frust, aber wenn sie aufstehen und sagen „Mit diesem Mann will ich nichts zu tun haben“, dann haben sie ein Problem. Und so halten sie still, weil ihnen der Posten wichtiger ist als ihr Land. Ihr Land, das wirklich kaputtgemacht wird von einem Menschen, den ich kennengelernt habe, weil ich in seiner Gegend lebte.

Sie haben zwanzig Jahre lang in Florida gelebt. Haben Sie mit Trump Golf gespielt?

Carpendale: Mit ihm nicht, aber ich habe oft auf seinen Golfplätzen gespielt, ja. Ich weiß, was für ein Mensch er war, bevor er Präsident wurde, nämlich eine Witzfigur. Wir haben immer über ihn geredet, man hört Geschichten und sprichst mit Menschen, die dir sagen, was für ein unerträglicher Typ das ist. Er wird diese Welt komplett verändern, wenn das so weitergeht.

Haben Sie persönlichen Kontakt gehabt?

Carpendale: Einmal gaben wir uns die Hand. Er hat dann irgendwas über mich gesagt, obwohl er mich nicht kannte. Er hat mich halt mit jemandem verwechselt. Trump war über Jahre ein Teil unseres Lebens, und das Bild, was ich heute sehe, das kenne ich schon von damals. Dieser Mensch ist nicht in der Lage, Empathie zu empfinden und zu zeigen. Das lernt er auch nicht mehr. Empathie hat man im Bauch, oder man hat sie nicht.

Sie schätzen Angela Merkel als Fels in der Brandung. Sind Sie froh über ihre Wiederwahl?

Carpendale: Richtig glücklich bin ich nicht. Es gibt so viele Fragen, die beantwortet werden müssen. In der Politik fehlen mir gerade insgesamt die Zukunftsvisionen sehr.

Ist der Satz „Wie schön wäre die Welt/ wenn es Grenzen nicht gäbe“ aus „Füreinander Da“ als Ihr Plädoyer für eine freundliche Flüchtlingspolitik zu verstehen?

Carpendale: Die Frage, wie wir mit den Flüchtlingsbewegungen umgehen, ist extrem schwierig. Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur: Es gibt hier kein schwarz oder weiß, sondern eine unendlich große Grauzone. Die beste Lösung, die mir derzeit einfällt, lautet: Europa. Wenn alle Länder Europas hier an einem Strang zögen, wäre viel erreicht.

Wie gehen Sie mit dem Spagat um, Erfolg haben zu wollen und zugleich Botschaften zu vermitteln, die vielleicht nicht jedem gefallen?

Carpendale: In der Unterhaltungsbranche in Deutschland ist es sehr, sehr schwer, diese Dinge zu koppeln. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche, sehe ich keinen Sinn darin, weiter kreativ zu sein.

Welches ist der erste Schritt raus aus dem Schlamassel?

Carpendale: Mir zu sagen „Heute scheiße ich die Leute nicht an, sondern heute schenke ich ihnen ein Lächeln“. Versuchen Sie das mal. Ich verspreche: Es wirkt.
CARPENDALE – SEIN KONZERT

Quelle: Mannheimer Morgen


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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#2 von Angelika , 18.01.2018 19:38

Danke Arivle,

ein wunderbares Interview. So lieben wir Ihn. Howard ist kein oberflächlicher Mensch. Seine Sorgen und Gedanken machen nachdenklich. FÜREINANDER DA........ist so wichtig und das WIR-Gefühl. ein Lächeln.....wie wahr !!





Liebe Grüße
Angelika

 
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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#3 von arivle , 18.01.2018 21:23

Das Interview gefällt mir auch sehr.


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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#4 von fischkopp , 18.01.2018 21:26

Wow, danke Arivle...

Wie schön ist das denn... wirklich toll geschrieben!

Hast Du etwa alles abgetippt?

Liebe Grüße Karin

 
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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#5 von arivle , 18.01.2018 21:44

Nein Karin,
bei der Zeitung angemeldet, dann wird man zum gewünschten Artikel geführt. Musste nur den Text kopieren. Link hier einstellen geht nicht; wird nur der Anfang des Artikels gezeigt.

Gute Nacht ....


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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#6 von kikilein , 18.01.2018 22:40

Danke Arivle für dieses sehr bewegende Interview
Howard sagt was er denkt, und das ist gut so.
Ich meine einen Teil davon schon mal irgendwo gelesen zu haben, aber vielleicht war es ja auch nur ähnlich geschrieben.


Liebe Grüße, Kiki
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RE: Mannheimer Morgen v. 18.1.18

#7 von Geli , 20.01.2018 19:28

Sehr schön geschrieben.

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Wochenendspiegel 18.12.17

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